Viel Einsatz für sauberere Meere

Wie sich eine Gruppe von Tauchern um die Sauberkeit der Gewässer rund um Istanbul sorgt und für viel Einsatz auch eine Menge Unterstützung bekommt

von Beate Fischer
Der Name ist Programm: „Bewegung für Aufklärung und Sauberkeit unter Wasser“, auf Türkisch „Sualtı Temizlik ve Bilinçlendirme Hareketi”, kurz STH. Die Gruppe Taucher und andere Freiwillige hat sich zusammengefunden, um auf die zunehmende Verschmutzung der Gewässer rund um Istanbul, vor allem des Bosporus und des Goldenen Horn, so wie des Marmarameers - aufmerksam zu machen. Die erste Aktion der Gruppe, die grossen Wert auf ihre Unabhängigkeit von staatlichen und privaten Organisationen legt, fand im Januar 2005 auf dem grossen Platz in Üsküdar statt. Danach folgten Tauchgänge (siehe Karte) in Üsküdar, Kadıköy, Ortaköy und Karaköy sowie bei den Prinzeninseln Büyükada, Sedefadası und Heybiliada. Worum geht es?


Eine der Besonderheiten Istanbuls ist es, von drei Seiten durch Gewässer begrenzt zu sein. Diese sind jedoch - insbesondere in den vergangenen 20 Jahren der rasanten Bevölkerungszunahme in Istanbul - durch Schmutzwassereinleitung sowie öffentliche und private Müllverklappung stark belastet. Der Hausmüll von Millionen wurde jahrzehntelang im Marmarameer versenkt und eine moderne Kläranlage der Stadt wurde erst vergangenes Jahr in Betrieb genommen. Dazu kommt die private Vermüllung der Gewässer. An den Uferstrassen und den Bosporusfähren verschwindet so manches unter der Wasseroberfläche.


STH hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Verschmutzung sichtbar und damit bewusst zu machen. In Tauchgängen an den hoch frequentierten Küstenstreifen Istanbuls wagen sich die Freiwilligen in die grünbraunen Fluten. In Fotos und Videos wird die Situation unter Wasser festgehalten, es werden Wasserproben in verschiedenen Tiefen genommen und exemplarisch Müll an die Oberfläche gebracht (Bild links). Die häufigsten Funde sind Getränkeflaschen und Dosen. Jedoch variieren die Funde in den einzelnen Stadteilen entsprechend der Ufernutzung und der sozio-ökonomischen Struktur gewaltig.

In Karaköy und auf der angrenzenden Brücke bestimmen Angler und kleine Fischrestaurants das Strassenbild, welches sich auch unter Wasser in einem fast undurchdringlichen Netz von gerissenen Angelschnüren und Haken (Bild rechts) sowie einer Vielzahl von zerbrochenen Gläsern, Tellern und verbogenem Besteck widerspiegelt. Ein sehr starkes Aufkommen von Miesmuscheln legt die Störung des ökologischen Gleichgewichts nahe.

In Üsküdar und Kadıköy, eher traditionell geprägten Stadtteilen, finden sich Getränkedosen einheimischer Brausehersteller sowie Tierknochen und Vorhängeschlösser, die zur Erfüllung von Wünschen oder Flüchen ins Meer geworfen werden.

In Ortaköy, einem jungen trendigen Stadtteil, sind die Getränkedosen fast ausschliesslich ausländische Marken.

In Harem zeigt sich entlang der Uferstrasse eine starke Vermüllung durch von Spaziergängern ins Wasser geworfenen Getränkedosen (Bild rechts) und kaputte Mobiltelefone. Aber auch “Entsorgungsaktionen” von Ölffässern, alten Öfen, Schläuchen, Fahrrädern, Handwagen und Bauschutt durch Anwohner und Fischer können festgestellt werden. STH hat vorallem hier Maßnahmen der Stadtverwaltung zur Vermeidung der wilden Müllentsorgung gefordert und angeboten in einer Sonderaktion den küstennahen Streifen zu säubern.

Auf den Prinzeninseln Büyükada, Sedefadası und Heybiliada finden sich neben Hausmüll und Getränkedosen, hauptsächlich gerissene Fischernetze, die sich unter Wasser nach und nach mit Pflanzenteilen und Abfällen zusetzen.

Die Aktionstage finden 1 – 2 Mal im Monat statt. STH ist es wichtig, jeweils die Stadtverwaltung des betroffenen Stadtbezirkes und die Medien einzubeziehen. Die Sicherheit der Taucher steht jedoch im Vordergrund. Schlechte Sicht unter Wasser, starke und wechselnde Strömungen und Kontamination sind Gefahren, die von den Tauchern viel Erfahrung, Abstimmung und Disziplin unter Wasser verlangen. Die Tauchgänge dauern im allgemeinen nicht länger als 15 – 20 Minuten und werden in Tiefen von bis zu 15 Metern durchgeführt.

Am Aktionstag taucht zuerst die Foto- und Videogruppe, dann werden die Wasserproben in verschiedenen Tiefen entnommen und als letztes exemplarisch interessante Müllfunde für die Ausstellung an Land herausgeholt. Die Funde werden an Ort und Stelle ausgestellt, fotografiert, katalogisiert und auf der Internetseite veröffnetlicht.

Das Wasser, seine chemische Zusammensetzung, die Belastung mit Schwermetallen sowie die Fauna und Flora werden von Studenten der Unterwasser-Fakultät der İstanbuler Universität analysiert. Der Eintrag von giftigen Stoffen führt zu einem Sterben oder Abwandern bestimmter Pflanzen und Tiere. Dadurch entsteht ein Übergewicht der sich anpassenden Lebewesen. Eine Störung der natürlichen Vielfalt weist daher meist auf starke Verschmutzung hin. Anderseits sind einige Algenarten Indikatoren für hohe Schwermetallgehalte.

Die Veröffentlichung der Ergebnisse ist der STH zum einen wichtig, um die Situation an jedem besuchten Ort für jederman öffentlich zu dokumentieren und zum anderen um Vergleichswerte für einen späteren Tauchgang am gleichen Ort zu haben. An den gewählten Stellen sollen die Tauchgänge in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, um die Entwicklung der Wasserqualität und den Grad der Vermüllung über einen längeren Zeitraum dokumentieren zu können. Im Fokus sind die Gewässer rund um Istanbul. Nächste Schritte sind das Marmara-Meer und andere Orte der Türkei.

Innerhalb von nur einem Jahr ist die Gruppe auf 30-40 Taucher und ebenso viele Unterstützer an Land angewachsen. Die Freiwilligen kommen hauptsächlich aus Istanbul und Ankara. Die Unterstützer von STH sind sich darüber bewusst, dass ihre Arbeit nur langfristig von Erfolg gekrönt sein kann. Die Fotos und Videoaufnahmen der Tauchgänge werden auch für Vorträge an Schulen und Universitäten genutzt. In 2006 ist die Gründung eines Vereins und die Verstärkung der Aufklärungsarbeit, insbesondere an Schulen geplant.

Beate Fischer, Juristin

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