Über den ökologischen Aufbruch in der Türkei

von Beate Fischer

Angefangen hat alles mit einem Marktstand in Bodrum und einigen Produkten wie Vollkornreis, kaltgepresstem Olivenöl usw. Danach folgten ein kleiner Öko-Laden, danach ein Café und ein Restaurant. Alle diese Projekte dienten als Treffpunkt für Interessierte. Im weiteren wurde ein Büro in Istanbul aufgemacht, eine Zeitschrift über ökologisches Leben herausgegeben und ein Verein gegründet. Heute ist der Verein BUGDAY (,Weizen') und die gleichnamige Zeitschrift eine feste Größe in der türkischen Öko-Szene. Über die verschiedenen Projekte von BUGDAY und die Entwicklung des ökologischen Landbaus in der Türkei hat die in Istanbul lebende Juristin Beate Fischer mit dem Vereinsgründer Victor Ananias (Foto rechts) gesprochen.


Frage: Was ist der Unterschied zwischen BUGDAY und anderen Initiativen?
Victor Ananias (V.A.) Die anderen Initiativen arbeiten immer entsprechend den Möglichkeiten, aber wir suchen Möglichkeiten für die bestehenden Aufgaben. Wir legen fest, was in der Türkei angegangen werden muss, auch wenn niemand daran glaubt. Als wir zum ersten Mal die Zeitschrift herausgegeben haben, hat niemand Recycling-Papier verwendet. Wir benutzen es und führen diese Gewohnheit ein. Wir sehen die Entwicklungen im Ausland und versuchen die Ideen für die Türkei anzuwenden. Manche Dinge kann man vom Ausland lernen, aber hier funktionieren viele Dinge anders. In der Türkei vollzieht sich der gesellschaftliche Wandel so schnell und die Leute beschweren sich viel, bleiben aber passiv. Gleichzeitig beginnen sich die Menschen zu emanzipieren, nutzen ihre Rechte. In der Türkei leben viele Menschen auf dem Land und die Bauern wissen sehr gut über den Wert der Erde Bescheid. Aber viele von ihnen sind in die Städte gezogen. Immer noch sind die Menschen mit dem Duft der Tomaten, der Schönheit des Obstes, des Dorfes und der Täler eng verbunden. Daher denke ich es kann sich in der Türkei eine starke Bewegung entwickeln, auch in Zeiten in denen ökologische Themen von der Tagesordnung verdrängt werden.

Frage: Welche neuen Projekte betreibt der Verein im Moment?
V.A.: Es gibt mit dem WWF ein gemeinsames Projekt in Cirali (in der Nähe von Antalya). Die Produkte aus dem Dorf sollen vermarktet und die ökologischen Projekte gefördert werden. Die Projekte sollten eigentlich enden, aber wir versuchen sie am Leben zu erhalten. Außerdem gibt es im Moment gerade ein Projekt unseres Vereins mit Bauern, die ökologische Landwirtschaft betreiben. Es ist ein Projekt sowohl für die Produzenten, als auch für die Verbraucher - Tourismus mit ökologischen Bauern. Wir legen sehr viel Wert auf die Art der Zusammenarbeit mit den Bauern. Sie werden immer die Ansprechpartner des Projektes vor Ort sein. Das Ziel ist den Bauern eine zusätzliche Einkommensmöglichkeit zu schaffen.

Frage: Welchen theoretischen Nachholbedarf haben die Bauern?
V.A.: Gegenwärtig gibt es in der Türkei 18.000 Bauern, die ökologischen Anbau betreiben, aber das ist eine trügerische Zahl. Ein Großteil dieser Bauern produziert für den Export nach den vorgegebenen Regeln, aber gleichzeitig konventionell für den eigenen Verbrauch. Die Bauern halten sich nur wegen der Abnahmegarantie an die vorgegebenen Regeln. Das ist auch kein Problem. Aber wir denken, dass sich erst ein Binnenmarkt für die Produkte entwickeln und die Produktvielfalt erhöhen wird, nach dem sich auch ein Verständnis für das ökologische Leben durchgesetzt hat. In den Vorlesungen der Landwirtschaftlichen Fakultäten wird inzwischen auch mehr Wert auf ökologische Themen gelegt und Studenten können ihre Praktika in unseren Projekten machen. Die Praktikanten wohnen bei den Bauern und arbeiten als Gegenleistung dort mit. Dadurch werden die Bauern den ökologischen Landbau besser verstehen und die Studenten lernen ökologischen Landbau aus der Praxis.

Frage: Welche Kontakte gibt es zu den Universitäten?
V.A.: An der Landwirtschaftlichen Fakultät in Samsun wurde ein Klub für ökologisches Leben gegründet. Zuerst war ich dort auf einer Konferenz. Danach haben die Studenten angefangen sich dort zu treffen und auch nach aussen in die Schulen zu wirken und mit Geschäftsleuten zu sprechen. Ein anderes Beispiel gibt es an der Universität in Van. Dort unterstüzen wir Studenten bei wissenschaftlichen Arbeiten über ökologische Themen. Von einer anderen Universität hat ein Professors der ,Enviromental Politics' liest, mich gebeten, eine Vorlesung zu halten. Wir haben lose Kontakte zum Erziehungsministerium. Dort versuchen wir einige Vorschläge in die Lehrpläne einzubringen. Sehr viel konkretes ist bei dieser Zusammenarbeit noch nicht herausgekommen, aber wir waren in einigen Punkten beratend tätig. Weniger im Bereich der Ökologie, dafür mehr im Umweltschutz, konnten wir etwas Einfluss ausüben. Für das Bildungsministerium ist Ökologie ein ganz neues Thema. Aber einige Schulen haben uns schon von sich aus für Projekte eingeladen.

Frage: Welche Themen werden in der Zeitschrift aufgegriffen?
VA: Die Zeitschrift ist erstmals im Januar 1998 erschienen; damals als Bulletin in Fotokopien mit Neuigkeiten aus den Öko-Dörfern in der Türkei und über ökologischen Landbau. Für die Zeitschrift benutzen wir kein Hochglanzpapier, es ist uns wichtig Recycling-Papier und Papier aus einheimischer Produktion zu verwenden. In der Zeitschrift haben wir uns vor einiger Zeit entschieden, in jedem Heft über Schwerpunktthemen wie z.B. Gesundheit, Verbraucher, Nachhaltige Wirtschaft und Entwicklung, Regionalität zu berichten. Finanziell ist die Zeitschrift immer noch in einer schwierigen Lage, obwohl wir die Artikel und Fotos meist kostenlos oder für wenig Geld erhalten. Für ein Jahr hatte eine Firma ein Großabonnement gemacht, für ihre Angestellten und Kunden. Wir hatten auch Anzeigenangebote für viel Geld, die wir abgelehnt haben z.B. von SHELL. Neben dem Inhalt ist uns die Form der Anzeige wichtig, es gibt Anzeigen, die sind extra für uns entworfen worden.

Frage: Die Region um Izmir ist in der Türkei das Zentrum des ökologischen Landbaus.
V.A.: Ja, einerseits wird von dort aus der Export gemacht, die meisten Firmen, Einkäufer und Zertifizierungsgesellschaften haben dort ihrer Sitz und andererseits war das erste ökologische Produkt der Türkei Rosinen aus dieser Gegend. Die weiteren Produkte waren Feigen, Haselnüsse und Aprikosen. Die Entwickung begann 1985 mit RAPUNZEL. Die Produkte werden in der Region verpackt und gehen in den Transport. Aber es gibt Bioanbau auch in anderen Regionen; Haselnüsse und Tee am Schwarzen Meer. Im Moment werden ungefähr 250 Produkte exportiert.

Frage: Wie ist euer Verhältnis zu den ausländischen Firmen wie z.B. RAPUNZEL?
V.A.: Sehr gut; Im Zuge dieser Arbeit haben wir die internationalen Hersteller ökologischer Produkte z.B. RAPUNZEL aufgefordert, sich in der Türkei zu engagieren. Ich habe nicht gesagt ´es wäre gut´ sondern ´es ist eure Pflicht`. Wir sind hunderte Male hingegangen und haben mit denen gesprochen. Sie haben mit dem ökologischen Anbau begonnen. Und der Staat nimmt sie ernst, dass ist auch wichtig. Wenn alles so bleibt, wie es ist, ist es natürlich nicht ausreichend, denn die Menschen haben das Gefühl ihr Boden, ihr Land werden benutzt und es bleibt nichts davon hier. Wir versuchen dem Wirken der ausländischen Firmen etwas hinzuzufügen. Wir wollen etwas im Bewusstsein ändern, die Produktvielfalt und die Binnennachfrage erhöhen.

Frage: Finden sich ökologische Produkte auch auf dem einheimischen Markt wieder?
V.A.: Die Exportprodukte, die nicht für den lokalen Markt produziert werden, sind teuer. Aber das ändert sich gerade. Denn die Türkei hat die Möglichkeiten ihre eigenen ökologischen Produkte preiswert zu produzieren. Die produzierten Waren müssen auch von den Menschen im Land konsumiert werden. In der Türkei wird etwa 41% der Baumwolle der Welt angebaut und warum sollen wir da keine Kinderkleidung daraus machen. Wir haben Versuche mit ökologischen Produkten auf den lokalen Wochenmärkten gemacht und waren erfolgreich. Die Produkte sollen natürlich auch in Supermärkten und in Öko-Läden verkauft werden. (Anm. vgl. Gemüse-Abokisten in Deutschland). Die Verbraucher können Obst, Gemüse, Käse, Honig und andere Lebensmittel nach den wöchentlichen Produktlisten der Anbieter bestellen und einmal die Woche wird die Kiste nach Hause geliefert. Nach der Probephase soll das Projekt auch auf andere Städte ausgeweitet werden. Die Preise sind kaum über den Marktpreisen und so kann es jeder bezahlen. Die Auswahl an ökologischen Produkten in der Türkei ist eigentlich sehr gross, auch an zertifizierten Produkten, aber es fehlt an einem geeigneten Vermarktungssystem. Für uns ist das Projekt sehr wichtig, weil es die Binnennachfrage nach ökologischen Produkten stärkt und die Produktvielfalt abbildet. Für die Produzenten hat es den Vorteil, ohne Zwischenhändler direkt verkaufen zu können.

Frage: Ich habe mit Leuten gesprochen, die gesagt haben die Zertifizierungen sind zu teuer.
V.A.: Niemand ist gezwungen, sich zertifizieren zu lassen. Wenn sich in einem Dorf Bauern zusammenschliessen dann können sie sich zusammen zertifizieren lassen. Ökologischer Anbau kann ja auch nicht von einem allein betrieben werden, das geht nur gemeinsam. Das Zertifikat ist wichtig, denn es müssen Standards geschaffen werden. Es gibt auch zwei türkische Zertifikate - aber die sind nicht streng genung. Darüber hinaus gibt es gegenwärtig acht ausländische Zertifizierungsgesellschaften, die mit Repräsentanzen in der Türkei ansässig sind. Natürlich wäre es besser, ein nationales System zu haben, aber in der Türkei sind wir weit davon entfernt. Das andere Problem ist, daß die notwendige Beratung der Bauern fehlt. Insbesondere vom Landwirtschafts-Ministerium gibt es keine Hilfe. Es gibt den Verein ETO an der ägäis-Universität, der einen Teil der Unterstützungsarbeit leistet. Das Hauptproblem bleiben Schulungen und Informationen. Einige Bauern denken es wäre eine Rückkehr in alte Zeiten, wenn man bestimmte Dünger und chemische Mittel nicht mehr benutzt.

Frage: Was bedeutet für euch der Begriff vom "ökologischen Leben"? Heißt das nur unvergiftetes Gemüse zu essen?
V.A.: Das ist für uns ein viel weiter gefasster Begriff. Wir wollen ein ganzheitlich gutes Leben. Dazu gehört die biologische Vielfalt. Der ökologische Landbau ist in der heutigen Form nicht ausreichend, denn es werden wegen der mangelnden Binnennachfrage, oft nur wenige, im Export zu vermarktende Produkte angebaut. Wir aber versuchen Regionalität und Vielfalt zu fördern. Unsere internationalen Kontakte setzen wir für unsere regionale Arbeit ein. Die Entwicklung muss sich in jedem Dorf aus dem Dorf selbst, ausgehend von den fortschrittlichsten Menschen, vollziehen. Dabei legen wir besonderen Wert auf die sozialen Beziehungen - zusammen zu arbeiten, die Rolle von Mann und Frau, die Rolle des Kindes. In diesen Bereichen gibt es langsam positive Entwicklungen. Die Denkweise beginnt sich zu ändern.

Kontakt: Bugday Ekolojik Yasami Destekleme Dernegi
Bugday Society For Supporting Ecological Livelihood
Lüleci Hendek Cad. 120/1-2 Kuledibi-Istanbul
Tel: ..90 212 2525255 Fax: ..90 212 2525256
www.bugday.org

Beate Fischer, Juristin

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